1935 - 2005 | 70 JAHRE WUPPERTALER GEWERKSCHAFTSPROZESSE | VORBEREITUNG ZUM HOCHVERRAT 1935 - 2005 | 70 JAHRE WUPPERTALER GEWERKSCHAFTSPROZESSE | VORBEREITUNG ZUM HOCHVERRAT # #
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Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse
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HISTORISCHER HINTERGRUND

Sozialistisches Milieu
Aufstieg NSDAP
Terrorphase 1933/34
Widerstand/Emigration
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Ausflug Wuppertaler Jungkommunisten 1923
Ausflug Wuppertaler Jungkommunisten 1923
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Arbeiter-Radfahrer-Bund
Arbeiter-Radfahrer-Bund "Solidarität", Korsofahrt 1930
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Ausflug der anarchistischen Gruppe
Ausflug der anarchistischen Gruppe "Freie Jugend Morgenröte" Anfang der 20er Jahre (vorne im Profil der Vorsitzende Willy Muth)
 
DAS SOZIALISTISCHE MILIEU
 

Wichtigster Träger des Widerstands gegen den Nationalsozialismus war das sozialistische Milieu, dessen Anfänge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Wuppertal gehörte als Teil des Bergischen Landes zu den Keimzellen der politischen Arbeiterbewegung in Deutschland und entwickelte sich neben Sachsen zu der Flächenhochburg der frühen Sozialdemokratie.

Einer der zwölf Gründer des 1863 in Leipzig entstandenen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) war der Vorsitzende des Elberfelder Arbeitervereins, Hugo Hillmann. Die dominierende Rolle des Bergischen Landes im ADAV zeigt sich unter anderem daran, dass die späteren Wuppertaler Stadtteile Barmen und Ronsdorf sowie das benachbarte Solingen die drei mitgliederstärksten Gemeinden stellten. Seit 1867 gewannen regelmäßig Sozialdemokraten die bergischen Reichstagswahlkreise.
Trotz der politischen Erfolge blieb die Arbeiterbewegung im deutschen Kaiserreich gesellschaftlich isoliert. Die kollektive Verfolgungserfahrung reichte bis in den Vormärz zurück und erlebte durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Sozialistengesetz, in Kraft von 1878 bis 1890) einen Höhepunkt. Ausgegrenzt und auf eine fundamentale Oppositionsrolle festgelegt entstand durch den äußeren Druck eine Gegenwelt zum bürgerlichen Modell, das sozialistische Milieu.

Um die SPD als politischem und die Freien Gewerkschaften als ökonomischem Aktionsverband entwickelte sich ein Netzwerk von Milieuorganisationen für nahezu alle Bereiche des Lebens: Zeitungen und Verlage, Sport- und Kulturvereine, Produktions- und Konsumgenossenschaften, Kinder- und Jugendorganisationen. Diese Vereine und Organisationen ermöglichten den Menschen, sich ein Leben lang fast ausschließlich innerhalb des eigenen Milieus zu bewegen. Bis 1914 war das inzwischen drei Generationen übergreifende sozialistische Milieu, das gleichzeitig Geborgenheit und Enge vermittelte, nach außen fest abgeschlossen. Die SPD hatte zu diesem Zeitpunkt in Elberfeld und Barmen gut 7.500 Mitglieder, den Freien Gewerkschaften gehörten im Wuppertal rund 19.500 Menschen an.
In der Auseinandersetzung um die Unterstützung des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg spaltete sich das Milieu 1916/17 parteipolitisch. Etwa 80 Prozent der Wuppertaler Sozialdemokraten wechselten als Kriegsgegner zur neu gegründeten USPD. 1920 spaltete sich die USPD, deren radikalere Teile sich der KPD anschlossen, während die anderen sich zwei Jahre später wieder mit der SPD vereinigten.

Die KPD versuchte seit Ende der 1920er Jahre zunehmend, die entstandene Spaltung im Bereich der Parteien auf alle Milieuorganisationen zu übertragen. Die dadurch ausgelöste wachsende Fragmentierung und Zerstörung des traditionellen Milieuzusammenhalts beschleunigte die Herausbildung eines kommunistischen Submilieus. Trotzdem blieb der in Wuppertal stark ausgeprägte parteiübergreifende Milieuzusammenhalt bis 1933 bestehen. Die alltäglich erfahrene Bedrohung durch die aufstrebende NS-Bewegung im Betrieb und im Wohnviertel ließ die Anhänger der linken Arbeiterparteien an der Basis, ähnlich wie 1920 in den Kämpfen des Kapp-Putsches, wieder näher zusammenrücken.

Zu Beginn der 1930er Jahre hatte die SPD rund 5.600 Wuppertaler Mitglieder, die KPD knapp 3.500. Die Funktionäre der Arbeiterparteien bildeten den Kern des sozialistischen Milieus. Die Milieubasis bestand aus den schätzungsweise 30.000 bis 35.000 Familien, die Mitglieder der Wuppertaler Konsumgenossenschaft „Vorwärts-Befreiung“ waren. Zur Abwehr der zunehmenden Bedrohung durch die Gewaltstrategie der Nationalsozialisten entstanden Abwehrorganisationen. Dem bereits 1924 zum Schutz der Republik gegründeten und von Sozialdemokraten dominierten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gehörten etwa 1.700 Wuppertaler an, der 1930 gegründete kommunistische Kampfbund gegen den Faschismus erreichte eine ähnliche Größenordnung.
Da viele Kommunisten und Sozialdemokraten in mehreren Organisationen engagiert waren und diese Mehrfachmitgliedschaften nicht zu quantifizieren sind, kann die Gesamtgröße des sozialistischen Milieus nur geschätzt werden. Man kann in Wuppertal von rund 50.000 Personen ausgehen, die relativ stabil in das sozialistische Milieu integriert waren und von denen circa 8.000 kommunistisch dominierten Organisationen angehörten.

Das sozialistische Wählerlager ging weit über den Kreis der in das Milieu eingebundenen Personen hinaus. Trotz der deutlich geringeren Mitgliederzahlen gelang es der KPD erstmals bei den Reichstagswahlen im Mai 1924 und zwischen 1930 und 1933, in Wuppertal mehr Wählerstimmen zu gewinnen als die SPD. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im November 1932, als die KPD von den rund 100.000 Wählern der Arbeiterparteien gut 63.000 für sich gewinnen konnte.

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